Unterirdisch gut entsorgt

Die Wiener Abwasserentsorgung hat international Vorbildwirkung. Damit das öffentliche Kanalnetz funktioniert, wird es laufend gewartet und ausgebaut.


Das Wiener Kanalnetz gehört zu den besten der Welt. Die Wiener Kanalisation erstreckt sich über 2.500 Kilometer und transportiert täglich eine halbe Milliarde Liter Abwasser zur ebswien-Kläranlage in Simmering. 99,8 Prozent der Haushalte sind angeschlossen – ein internationaler Spitzenwert.

Vorzeigeprojekt


Immer wieder kommen Fachleute aus aller Welt nach Wien, um sich am System der Abwasserentsorgung und des Gewässerschutzes zu orientieren. Eines dieser Vorzeigeprojekte ist die intelligente Wiener Kanalnetzsteuerung, die auch bei starkem Regen den Zufluss zur Kläranlage konstant hält.

Viele Aufgaben


Ein Team aus rund 430 Personen wartet das Kanalnetz regelmäßig. Um einen störungsfreien Abfluss zu garantieren, wird täglich etwa 20 Tonnen abgelagertes Material aus den Kanälen geholt. Neben Kanalneubau, -erhaltung und -erneuerung zählt der Bürger*innenservice zu den zentralen Aufgaben. Bei Problemen mit dem Hauskanal ist die 24-Stunden-Hotline kostenlos erreichbar unter 01/4000-9300.

Zur Arbeit in den Untergrund


Eine halbe Milliarde Liter Abwasser fließt täglich durch die Wiener Kanalisation. Hier fand Leopold Kaps seinen Traumjob. Plötzlich ist da ein Windhauch und bringt eine frische Brise mit, die die muffige Kanalluft vertreibt. Wir stehen im Dämmerlicht im riesigen Gewölbe mitten im Wienfluss, zwei Kilometer lang fließt er hier durch einen Tunnel. Es ist eine beeindruckende Kulisse: Nach links und rechts verläuft der Kanal ins Dunkel, über uns wölbt sich die bis zu acht Meter dicke Betondecke. Das Wasser ist nur ein bisschen breiter als ein Rinnsal, an der Wand sieht man die Spuren vergangener Hochwassertage. Wir befinden uns 13 Meter unter der Erde, über uns der Girardipark beim Karlsplatz.

Immer der Nase nach

Eine halbe Milliarde Liter Abwasser fließt täglich durch die Wiener Kanalisation. Hier fand Leopold Kaps seinen Traumjob.


Wie man sich hier unten orientiert? „Immer dem Geruch nach“, sagt Kaps und lacht, während er uns durch schmale Gänge immer weiter unter die Erde führt. Tatsächlich wechselt der Geruch zwischen muffig und faulig. „Nach zwei Wochen hatte ich mich daran gewöhnt“, erzählt Kaps. „Ich riech’ das nicht mehr so genau.“ Natürlich stapelt er hier tief. Man merkt schnell, dass er besser riecht als andere, sogar einzelne Duftnoten: In der sogenannten Vereinigungskammer etwa landen die Abwässer aus dem Bezirk Ottakring. Wenn in der lokalen Brauerei am Wochenende Fässer ausgewaschen werden, riecht es hier nach Bier. Und wenn die im 17. Bezirk beheimatete Manner-Fabrik auch noch ihre Kessel reinigt, zusätzlich nach Schokolade. Für uns momentan schwer vorstellbar.

Von Wien nach Paris


Die Chance ist hoch, dass man sich verirrt – zumindest ohne Kaps. Das Wiener Kanalnetz ist 2.500 Kilometer lang, das entspricht der Strecke von Wien nach Paris und wieder zurück. Das Abwasser wird durch das unterirdische Labyrinth in die Kläranlage nach Simmering, den tiefstgelegenen Punkt Wiens, geleitet. Eine Herkulesaufgabe. „Kein Tag ist hier wie der andere“, so Kaps, „ich bin jeden Tag unten im Kanal, zeitweise fahre ich auch noch mit den Einsatzbussen und sitze auch mal am Telefon und nehme die Wünsche und Beschwerden der Wiener Bevölkerung entgegen.“

Große Verantwortung


Generell sei das so bei dem Job: „Entweder man bleibt eine Woche und kommt nie wieder oder man bleibt sein ganzes Leben“, sagt er. Er jedenfalls habe nicht vor, Wien Kanal zu verlassen, das hier sei seine Lieblingsarbeit – auch wenn sich das für manche Ohren seltsam anhöre. „Es ist ein sicherer Beruf, die Bezahlung ist gut und das Teamgefüge einzigartig. Du lernst die Stadt neu kennen. Und für die Bevölkerung etwas zu tun, macht mich stolz. Wenn wir nicht wären, würden wegen der fehlenden Hygiene die Cholera und andere Krankheiten ausbrechen. Es ist wichtig, dass wir unsere Arbeit machen. Sie ist systemrelevant.“ Dann fügt er hinzu: „Ein großes Manko ist halt: Man sieht uns nicht, man hört und riecht uns nur.“ Tatsächlich ist es für Kanalarbeiter*innen schwierig, verborgen im Untergrund zu arbeiten – es wirkt nicht, als wäre ihre Arbeit ein unverzichtbarer Dienst an der Gesellschaft. Genauso ein Problem ist, dass viele Menschen die Toilette gerne als Mistkübel benutzen. „Der Mist gehört in den Kübel und nicht in den Kanal“, sagt Kaps. „Da wünsch’ ich mir von den Menschen: Bitte, nehmt euch die Minute und haut die Tschickstummel in den Mistkübel.“

Gebiss gefunden


Wir stehen mittlerweile vor zwei großen Sammelbecken. Um die zwei Metallsteher links und rechts ist etwas Weißes gewickelt. Feuchttücher, wie Kaps erklärt. Und er macht deutlich: Die gehören wirklich nicht in die Toilette. Egal, wie oft die Herstellenden das behaupten. Sie zersetzen sich nicht und müssen Stück für Stück von Hand entfernt werden. Etwas, worauf Kaps gerne verzichten würde.

Was gehört eigentlich in den Kanal? Groß, klein, Erbrochenes und Klopapier. Das war’s auch schon. „Bitte kein Katzenstreu, bitte kein Frittieröl.“ Einmal habe er sogar einen Skistock aus dem Kanal gefischt. „Ein Gebiss hab’ ich auch einmal gefunden. Das hab’ ich gereinigt und jetzt zu Hause liegen. Wer weiß, vielleicht kann ich es ja einmal brauchen.“ Er lacht und dann führt er uns wieder ins Licht.
 

Tipp für Filmfans


Leopold Kaps kennt die Welt unter der Stadt genau. Der 38-Jährige hat eine Stirnlampe am Helm. Aber es wirkt, als würde er sich auch ohne Licht zurechtfinden. Kaps ist seit fünf Jahren Kanalarbeiter und erblich „vorbelastet“. Sein Opa und sein Vater waren ebenfalls bei Wien Kanal – und beide heißen auch Leopold. Von Mai bis Oktober führt Kaps Besucher*innen auf den Spuren des Filmklassikers „Der dritte Mann“ durch die Kanalisation. Die bekannteste Szene des Films – die Flucht des Penicillin-Schmugglers Harry Lime (Orson Welles) – wurde hier gedreht. Kaps mag seine Arbeit, sie sei vielseitig, sagt er, und generell wirkt er aufgeräumt und sehr eloquent – man merkt ihm die Erfahrung als Fremdenführer an.

Zum Nachhören


Im Podcast erzählen Kanalexpert*innen über ihre Arbeit und warum sie ihnen Spaß macht.
Leopold Kaps, Mitarbeiter von Wien Kanal, bei der Arbeit.